Verfasst von: markusgaertner | Januar 14, 2010

Chinas Fluch

China MUSS wachsen – das ist seine Schwäche                                                       

Vancouver, 14. Januar 2010

Chinas Turbowachstum erstaunt die Welt. Während Deutschlands Wirtschaft um 5% schrumpft, kontert die Volksrepublik die globale Krise mit einem satten Wachstum von fast 9%. Dabei überholt das bevölkerungsreichste Land der Erde scheinbar mühelos etablierte Wirtschaftsgiganten: Deutschland löst es als

Exportweltmeister ab, Japan als die zweitgrößte Wirtschaftsnation, die USA auch noch als führenden Automarkt.

Doch halt: Bei genauerem Hinsehen bleibt für die – oft naive – Bewunderung wenig Platz. Das Reich der Mitte ist zu eiligem Wachstum verdammt. Und das ist eindeutig eine Schwäche. China muss 8% Zuwachs pro Jahr erzielen, um mindestens 20 Mill. Zugänge am Arbeitsmarkt zu versorgen. Die Ballungsräume blähen sich jedes Jahr mit Mill. von Wanderarbeitern aus dem bäuerlichen Hinterland auf.

Ungezählte Chinesen wollen am dem Wirtschaftswunder teilhaben, wollen zu den Gewinnern zählen. Der kollektive Rausch produziert bislang bei weitem mehr Gewinner als Verlierer. Das stabilisiert das System – und die Kommunistische Partei. So die Kalkulation.

Doch wie jeder Rausch droht auch diesem ein Kater. Und der steht schon hinter der nächsten Ecke, wenn man sich die schon mathematisch kaum aufrecht zu erhaltenden Zahlen für 2009 und die vergangenen Wochen anschaut: Die Anlage-Investitionen kletterten zuletzt um 40%. Als Prozentsatz des BIP schossen sie im abgelaufenen Jahr auf 47% hoch. Die Kreditmenge verdoppelte sich im abgelaufenen Jahr phasenweise. Die Autokäufe stiegen im Herbst zwischen 80 und 90% an. Die Überkapazität bei Chinas Stahlkochern – die so viel Stahl walzen wie die acht nächstgrößeren Produzentenländer zusammen – beträgt nach Angaben der EU jetzt 200 Mill. Tonnen.

Die wunderschöne Hauptstraße von Pingyao, Chinas ehemaliger Bankenmetropole - Bild von Mechanical Turk, auf FLICKR

Angeheizt wird das alles mit einem künstlich niedrig gehaltenen Renminbi – der überwiegend an den Dollar gekoppelt ist – mit versteckten Subventionen und einem Konjunkturprogramm von 400 Mrd. Euro. Die rasende Urbanisierung, der Pragmatismus der Chinesen und die enorme Lernbegierfe tun ein übriges.

Doch der Preis für diesen Tanz auf dem Vulkan ist gigantisch: Die Umwelt wird zerstört, drei von vier der am stärtksten verschmutzten Städte der Welt sind in China. Das Einkommensgefälle übertrifft selbst das der USA. Den Staatsbanken wird eine kaum vorstellbare Last wackliger Kredite aufgebürdet.Die Verschwendung von Ressourcen ist kaum vorstellbar, zu sehen ist sie jedoch an den massiv zunehmenden Rohstoff- und Energieimporten.

Zugegeben: Viele dieser Zahlen sind inflationiert. Nach Auskunft des chinesischen Zollamtes haben die Aus- und Einfuhren ausländischer Firmen in China einen Anteil von 54,7% am gesamten Außenhandel des Landes. Das heißt nichts anderes, als dass die Volksrepublik an den ausgeführten Waren nur 45% Wertschöpfungsanteil hat. Der neue Exportweltmeister ist eine halbe Portion ! Nur ein Beispiel: In der Elektronikbranche weiß man, dass China an jedem iPod, der aus Fabriken in Guangdong an den Weltmarkt geliefert wird, gerade einmal 4 Dollar verdient.

Das lässt den neuen Stern am globalen Wirtschafts-Himmel nicht mehr ganz so hell erscheinen, auch wenn er mit knapp 2.300 Mrd. Dollar Devisenreserven zur Hausbank der angeschlagenen USA aufgestiegen ist, wie es die FAZ so schön formulierte.

Selbst mit den jüngsten Jubelzahlen droht China ein Szenario, in dem die Zahl der Verlierer im Reformprozess deutlich größer werden oder sogar die Zahl der Gewinner einmal übersteigen kann. Soziale Unruhen wären die unweigerliche Folge. Das treibt die Führung der KP in Peking jetzt schon um. Nach Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank ist die ländliche Arbeitslosigkeit auf 30% geklettert, 20 Mill. Wanderarbeiter haben schätzungsweise in der Krise den Job verloren. In China können viele dieser „Verlierer“ zurück auf ihren Acker gehen, wo die Familie die Stellung hält, oder sie eröffnen einen der vielen Straßenstände, oder verkaufen raubkopierte DVDs an westliche Touristen.

Doch im Land brodelt es, trotz Turbowachstums: Bei den ethnischen Uighuren in Xinjiang sowie unter den Tibetern; aber auch bei einer neuen Anwaltsklasse, die auf die neuen Gesetze pocht und dabei riskiert, die junge Lizenz zu verlieren oder ins Arbeitslager geschickt zu werden. Bei der schneller als alles andere wachsenden Web-Community, die – wie der angedrohte Google-Rückzug aus China zeigt – hermetischer Zensur unterworfen wird ebenso, und bei der rasant wachsenden Mittelklasse, die immer mehr „Besitzstände“ gegen behördliche und parteiliche Willkür zu verteidigen hat. Der Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Yang Huanning, warnte am vorletzten Tag 2009, die Führung und ihre Sicherheitsorgane seien bereits zu „präventiven Attacken“ gegen die Feinde des Regimes.

So ruhig wie auf dem Li-Fluss gehts in China fast nie zu, bei 70.000 Protesten im Jahr - Bild von Zedzap Nick auf FLICKR

Die Probleme beginnen jedoch schon weit vor sozialen Unruhen, bei denen niemand weiß, was der Auslöser sein könnte und wie lange die chinesische Zündschnur ist. Die Führer von Chinas Highspeed-Lokomotive heizen auch mit einem niedrigen Wechselkurs an. Der aber inflationiert China und deflationiert den Rest der Welt. Steigende Importpreise heizen derzeit die Inflation wieder an. Chinesen versuchen sich dagegen zu schützen, indem sie Rohstoffe kaufen, weit mehr als das Land für den industriellen Prozess braucht. Wenn diese künstliche Nachfrage gedeckt ist, könnten die Rohstoff-Notierungen ruckartig korrigieren. mit erheblichen Folgen für die Kapitalmärkte weit über China hinaus.

Singapurs ehemaliger Premier und Staatsgründer Lee Kuan Yew hat dieser Tage beklagt, die Chinesen seien „übermäßig selbstbewusst und forsch“ geworden. Das ist der Hochmut, der vor dem Fall kommt. Doch China ist längst zu groß und zu wichtig, um das in Deutschland oder anderswo in Europa nur noch mit Achselzucken zu quittieren.


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